Komplexität verstehen
Die Grundannahme der Organisationstheorie lautete lange Zeit:
„Eine gewisse Vorhersehbarkeit und Ordnung bestimmt die Welt.“
Daher wurde schon immer versucht komplexe Gegenstände und Modelle vereinfacht darzustellen um sie auf jeweilige Gegebenheiten anzupassen. Hier stelle sich die Frage warum es denn überhaupt wichtig ist, für Trainer sich mit komplexen Gegebenheiten auseinanderzusetzen? Gegebenheiten ändern sich mit der Zeit durch Erweiterung von Komplexität und revidieren die Funktionalität traditioneller Führungsansätze und Entscheidungsprozesse. Trainer, Coaches und Teamentwickler sind also heutzutage in ihrer Arbeit mit Teams und Einzelnen gefordert, diese Komplexität zu vereinfachen und sie begreiflich zu machen. Vereinfachte Modelle (Harvard-Konzept, Teampyramide, die 5 Dysfunktionen eines Teams etc.) reduzieren komplexe Systeme auf wenige Punkte und lassen dadurch das System verständlich erscheinen. Um komplexe Systeme verstehen zu können muss man sich die Frage stellen welche Charakteristika komplexe Systeme überhaupt aufweisen.
„Das große Ganze“
Um die Komponenten von Komplexität besser verstehen zu können, sollte man sich das Beispiel einer Ameisenkolonie vor Augen führen. Jede Ameise hat ihren Platz im Gefüge und arbeitet alleine. Gleichzeitig interagiert sie mit anderen Ameisen. Sie arbeitet für das „große Ganze“, jedoch ist ihr das nicht bewusst. Eine Ameise arbeitet in einem globalen System. Man kann also nicht das globale System verstehen, wenn man nur eine individuelle Ameise betrachtet. Das ist die Essenz des komplexen Systems. Das System beschreibt die aus Elementen zusammengesetzte Ganzheit. Zur Beschreibung eines Systems treffen wir Aussagen über verschiedene Elemente, Teile und Merkmale aus denen sich ein ganzheitliches System zusammensetzt. Systeme kann man an Hand eines „ganzheitlichen Zusammenhangs von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind, als ihre Beziehungen zu anderen Elementen“ (vgl. Luhmann, 1987), beschreiben. Die Komplexität eines Systems steigt mit der Anzahl an Elementen, der Anzahl an Verknüpfungen zwischen diesen Elementen sowie der Funktionalität und Unüberschaubarkeit dieser Verknüpfungen. Unternehmen sind jedoch nicht nur komplex, sondern auch anpassungsfähig. Wie sich der Mensch an veränderte Umweltbedingungen anpasst, so entwickelt sich auch das Unternehmen stetig weiter und passt sich an Veränderung an. Diese Veränderung bezieht sich Arbeitsteilung, Wachstum, Spezialisierung, Professionalisierung und Dezentralisierung. Dadurch wächst auch die Vielfalt der in der Organisation vorhandenen Informationen und Handlungsprogramme zur Handhabung von Ereignissen der äußeren (Politik, Markt) und innerorganisatorischen Umwelt (Unternehmenskultur). Verändern sich also Elemente des Systems, verändert sich auch das System an sich. Wenn man also nur ein Teilstück betrachtet kann man das komplette System nicht verstehen. Dies beschreibt der Begriff der Emergenz. Für den Biologen Ernst Mayr Begriff ist „Emergenz in Systemen das Auftreten von Merkmalen auf höheren Organisationsebenen, die nicht aufgrund bekannter Komponenten niedrigerer Ebenen hätten vorhergesagt werden können“ (vgl. Mayer, 2000).
Infolge des Zusammenspiels der Elemente in einem System bilden sich also neue Eigenschaften oder Strukturen heraus. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.
Eigenschaften des Systems
Heutzutage ist jedes größere Unternehmen ein komplexes System. Zusammenfassend kann man komplexen Unternehmen folgende Eigenschaften zuordnen.
- Eine große Anzahl an Elementen ist involviert.
- Jede Änderung sei sie scheinbar noch so marginal, kann unvorhersehbare Änderungen hervorrufen.
- Das System ist dynamisch, Wirkungen können nicht vorhergesehen werden.
- Das System hat eine Vergangenheit, diese Vergangenheit fließt in die Gegenwart ein. Elemente des Systems entwickeln sich miteinander und mit der Umwelt, und diese Entwicklung ist unwiderruflich. (vgl. Snowden, Boone, 2007)
Im Gegensatz zu einem geordneten System (das System schränkt die Elemente) ein), oder einem chaotischen System, (es gibt keine Einschränkungen), beschränken sich in komplexen Systemen, die Elemente und das System gegenseitig, speziell über eine gewisse Zeitdauer.
Warum ist Komplexität für Trainer, Coaches, Teamentwickler von Bedeutung?
Heutzutage ist das Wissen über komplexe Systeme ein elementarer Baustein für Trainer, Coaches und Teamentwickler, um Methoden und Interventionsmöglichkeiten anzuwenden, die komplexe Zusammenhänge möglichst anschaulich und vereinfacht darstellen. Bei der Einzelintervention bricht der Coach das komplexe System in einzelne Komponenten auf, um dem Klienten Lösungsansätze zu vermitteln welche durch die vorherrschende Komplexität verborgen geblieben wären. Auch der Trainer wird grundsätzlich mit Komplexität konfrontiert werden. Als klassisches Beispiel kann man hier die kollegiale Fallberatung nennen. Der Trainer versucht in der Fallbeschreibung des Teilnehmers – eine Führungskraft im Unternehmen – die Komplexität zu reduzieren, um Lösungsvorschläge der restlichen Gruppe zu generieren, und nicht die anderen Teilnehmer mit komplexen Zusammenhängen zu erschlagen. Besonders als Teamentwickler sollte man der Komplexität einen hohen Stellenwert beimessen, vor allem wenn es sich bei dem Auftrag der Teamentwicklung um ein, „von Komplexität geplagtes“ Unternehmen handelt. Durch den Einbezug des komplexen Systems (dem Globe, nach dem TZI Modell von Cohn) bekommt der Teamentwickler bei der Auftragsklärung die Chance auf eine verbesserte Teamdiagnose. Als Teamentwickler betrachtet man während des Teamentwicklungsprozess nicht nur das Team an sich, sondern hat es mit verschiedenen Ebenen zu tun. Architektur und Kultur des Unternehmens, als auch das Individuum im Team sind ein Quell von Komplexität und lassen sich aus dem Prozess der Teamentwicklung nicht ausschließen. Um also nicht im Morast der Komplexität zu versinken, muss der Teamentwickler nun Wege und Möglichkeiten finden komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen, um letztendlich dem Team in seinem Entwicklungsprozess erfolgsversprechende Aussichten zu gewähren.
Lorcan Carey